Ist Gott eine Person?
Die Frage nach Gottes Wesen ist faszinierend und scheint auf den ersten Blick einfach, nicht wahr? In biblischen Erzählungen begegnen wir einem Gott, der erstaunlich menschliche Züge aufweist. Einem Gott, der Eifersucht zeigt, aus Verärgerung die Sintflut sendet, und neben dem keine anderen Götter stehen sollen. Aber er scheint auch ein zugänglicher Gott zu sein, der zu Mose durch einen brennenden Dornbusch spricht und Propheten in Visionen erscheint. Ein Gott, mit dem man ins Gespräch treten kann.
Diese Geschichten sind Ausdruck menschlicher Erfahrungen mit Gott. Sind sie historische Fakten? Ich glaube mich. Für mich liegt der wahre Wert dieser Erzählungen jedoch auch nicht in ihrer Historizität sondern in ihrer symbolischen Bedeutung. Also in etwas, das über sich selbst hinausweist.
Es sind Geschichten, die die Erfahrungen von Menschen mit Gott in anschaulichen Geschichten weitertragen wollen. Geschichten, die zeigen, wie Menschen sich von ihrer Beziehung zu Gott inspirieren ließen, sodass es schafften Menschen zu befreien, Völker zu ermahnen, Versöhnung zu wagen und Liebe zu üben. Durch ihre Beziehung zu Gott wuchsen die Misfits (Jakob, Josef, David, etc.) über sich selbst hinaus.
Das Schlüsselwort hier ist “Beziehung”. Und es klingt recht einleuchten, dass Gott eine Person sein muss, denn kann man eine wirkliche und lebendige Beziehung zu einer Sache haben?
In der Regel sprechen wir ja von Beziehungen zwischen Individuen. Also müsste Gott doch ein “Du”, ein Gegenüber sein?
Ich persönlich sehe Gott heutzutage nicht mehr als ein “Du”, sondern eher als eine Macht, die in dieser Welt wirkt. So wie wir Gerechtigkeit nicht anfassen können, wir aber alle irgendwie wissen, was Gerechtigkeit ist, auch wenn wir uns selten darüber einig sind, wenn wir auf sie treffen.
So ist für mich auch Gott und für mich wird Gott im 1. Johannesbrief 4,16 sehr gut zusammengefasst
“Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.”
Liebe können wir nicht anfassen. Wir können sie nicht falsifizieren oder naturwissenschaftlich sichtbar machen. Trotzdem würden wir aber alle sagen, dass es so etwas gibt wie Liebe. Es ist ein Phänomen. Es ist eine Wirkmacht, die nicht nur Leben, sondern auch diese Welt immer wieder verändert.
Liebe ist aber kein Gegenüber. Sie ist da und wird sichtbar, wenn Menschen sich lieben.
So wie das Phänomen Liebe, so ist Gott für mich.
Aber wie kann man das, was man niemals richtig fassen kann anderen Menschen nahe bringen? Naja, man kann versuchen zu umschreiben. Zu paraphrasieren und zu vergleichen.
Ein Beispiel: Um jemandem vor 2000 Jahren zu erklären, was ein Fernseher ist, würdest du wahrscheinlich von einem Fenster sprechen. Vielleicht von einem Fenster das Orte zeigt, die weit entfernt sind. So nutz du Bekanntes, um das Unbekannte zu umschreiben und ihm nahe zu kommen.
Genauso haben auch die Menschen in der Bibel durch Geschichten und Bilder versucht, das zu beschreiben, was nicht beschreibbar ist. Dazu haben die Menschen Bilder benutzt, die sie in ihrer Kultur zu Verfügung hatten und die die Menschen kannten. Deswegen ist Gott heute noch: Ein “mächtiger König”. Ein “Herrscher” oder ein guter “Vater” oder ein eben ein “Hirte”. (Übrigens gibt es auch noch viele andere weibliche Bilder für Gott in der Bibel).
Es sind Bilder, die etwas von den Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben transportieren sollen. Es bleiben aber eben nur Bilder.
Für mich ist Gott ist das ganz Andere. Wir als Menschen können und werden nie wirklich begreifen, was Gott ist. Aber ich bin mir sicher: Wir können Gott erleben, täglich in unserem Leben. Wenn Menschen sich lieben, wird Gott für mich sichtbar. In Momenten der Kraftlosigkeit, in denen ich dennoch Stärke finde, spüre ich Gott. Vielleicht wäre es ja Zeit für neue Bilder: Gott als liebevolle Mutter, als motivierender Coach, als weiser Urgroßelternteil. Natürlich ist Gott keine dieser Personen, aber diese Bilder könnten mir helfen auszudrücken wie ich Gott in meinem Leben wahrnehme.
“Aber du betest doch jeden Sonntag im Gottesdienst und sprichst Gott direkt an.”
Ja, das stimmt. Ich bete sehr bewusst Gott als Person an, auch wenn ich eigentlich besser weiß und anders empfinde. Warum? Weil es keine bessere Möglichkeit gibt und viele Menschen, auch ich, gute Erfahrungen gemacht haben mit dem ganz anderen auf diese Weise in Kontakt zu kommen. Dadurch wird Gott noch immer nicht zu einer Person (und erst recht nicht zu einer so menschlichen Person wie sie uns ab und zu in der Bibel begegnet). Aber es ist ein Weg. Andere Menschen musizieren und erfühlen durch ihre Musik Gott. Andere gestalten und spüren das Wirken Gottes in ihrem Leben.
Was für dich am besten passt? Ich weiß es nicht. Probier es doch einfach mal aus.
Wenn du mehr über die Theologie in diesem Artikel lesen willst, dann empfehle ich dir folgende Bücher:
- Paul Tillich: “Der Mut zu sein” – Dieses Buch gibt einen guten Einblick in Tillichs Verständnis von Gott als den “Grund allen Seins” und seine Vision eines “neuen Seins”.
- John Shelby Spong: “Why christianity must change or die” – Spong fordert in diesem Buch ein modernes Verständnis von Gott und dem christlichen Glauben. -> Sehr zu empfehlen!
- Karen Armstrong: “Eine Geschichte von Gott” – Armstrong erkundet die Entwicklung des Gotteskonzepts in den großen Weltreligionen und bietet eine breite Perspektive auf die Vielfalt des Glaubens.
- Rudolf Bultmann: “Neues Testament und Mythologie” – Bultmann argumentiert für eine Entmythologisierung des Neuen Testaments, um die christliche Botschaft für die moderne Welt relevant zu machen.
- Marcus Borg: “Das Herz des Christentums” – Borg präsentiert eine progressive, herzorientierte Auffassung des christlichen Glaubens.